Mitarbeitergespräch: Der Vorgesetzte nimmt sich Zeit für seine Mitarbeiter, für jeden individuell. Denn das – wie allgemein bekannt – sorgt dafür, dass der Mitarbeiter sich ernst genommen fühlt, zufriedener ist und trägt somit auch zum Erfolg des Unternehmens bei. Oder? Ganz so einfach geht diese Gleichung nicht auf, denn mindestens genauso wichtig, ob der Chef das Thema Mitarbeiterführung ernst nimmt und individuelle Einzelgespräche führt, ist die Frage, wie er diese Gespräche führt.
Zwischen Tür und Angel bei klingelndem Smartphone mit dem nächsten Termin im Nacken mal kurz zwei hastige Fragen gestellt, kaum eine Antwort abwarten und weiterhetzen, erfüllt sicher nicht den Zweck, dass sich ein Mitarbeiter wertgeschätzt und gefördert fühlt. Mindful Leadership, „Achtsame Führung“, ist der Trendbegriff, der die Strategie beschreibt, mir der Führungsaufgaben in Zeiten der neuen agilen Arbeitswelt bewältigbar bleiben sollen. Doch was genau ist damit gemeint und was kann der Ansatz tatsächlich bewirken?
Wenn die Zeit zum Führen fehlt
Nach einer Studie haben die wenigsten Führungskräfte in Deutschland überhaupt ausreichend Zeit, sich auf ihre eigentliche Kernaufgabe zu konzentrieren: Die Führung von Mitarbeitern.[1] Geschuldet ist das unter anderem der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung und der Fülle an Herausforderungen, die dieser tiefgreifende Wandel mit sich bringt: Beschleunigung, rasch zunehmende Komplexität, Vervielfältigung, Verdichtung und Diversifizierung des alltäglichen Aufgabenspektrums sind nur einige der Phänomene, mit denen sich Mitarbeiter in Führungspositionen auseinandersetzen müssen.
Ständige Erreichbarkeit und die Aufweichung eines starren Arbeitszeitmodells tun ihr Übriges, um die Balance zwischen Arbeitswelt und privaten Belangen zum Drahtseilakt verkommen zu lassen. Die verheerenden Folgen: Der Überblick geht zusehends verloren, die Zeit, Mitarbeiter zu motivieren und anzuleiten fehlt, die psychische Belastung und das Stressniveau steigen, die Freude am Beruf schwindet, Depression und Burnout drohen.
Die „agile“ neue Arbeitswelt
Ein brandaktuelles Buzzword, das die immer schneller fortschreitenden und komplexer werdenden Entwicklungen beschreibt, ist das Konzept der „agilen Arbeitswelt“. Agilität im Arbeitskontext meint, sich schnell und flexibel einer sich stetig und immer schneller wandelnden Umgebung anzupassen.[2] Wer sich schnell auf Veränderungen des Marktes einstellen kann, besitzt einen klaren Wettbewerbsvorteil. Wer zu träge und zu langsam reagiert und sich nicht schnell genug anpassen kann, geht unter.
Um agil zu sein, bedarf es sofortiger Handlungsfähigkeit, dynamischer Prozesse und flexibler Strukturen in sämtlichen Bereichen des Unternehmens. Führungskräften kommt dabei eine zentrale Rolle zu, da sie stetig neue Entwicklungen erkennen, kurzfristiger Ziele definieren und Mitarbeitern den Kurs verständlich und konsequent vermitteln müssen. Agilität ist in diesem Sinn als Denk- und Führungsmuster zu verstehen.[3]
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Was ist Achtsamkeit?
Der Begriff „Achtsamkeit“ per se beschreibt nach einer weitgehend akzeptierten Definition des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn aus dem Jahr 1994 einen Bewusstseinszustand des Menschen, in dem er Ereignisse und Erfahrungen ohne jegliche Voreingenommenheit absichtsvoll wahrnimmt, ohne eine Wertung vorzunehmen. Der Mensch ist dabei nicht abgelenkt von Gedanken, Erinnerungen, Fantasien oder Emotionen. Achtsamkeit ist als Aufmerksamkeit in einem besonderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustand zu verstehen. Historisch spielt das Konzept der Achtsamkeit in buddhistischen Lehren und Meditationspraktiken eine Rolle.
In den letzten 30 Jahren hat das Konzept einen Weg in die Persönlichkeitspsychologie und die klinische Forschung gefunden. In organisationspsychologischem Kontext findet Achtsamkeit seit der Jahrtausendwende verstärkt Anklang. Das gesamte Achtsamkeitsmodell bedient sich verschiedenster Formen der Meditation und Übungen zur bewussten Wahrnehmung im Alltag. Seitdem haben sich hunderte Studien mit der Rolle von Achtsamkeit in Bezug auf Arbeitsleistung, physischer und psychischer Gesundheit befasst. Positive Effekte sollen psychologischer sowie neurophysiologischer Ebene nachweisbar sein, beispielsweise in Form von der Verringerung des Burnout-Risikos über die Reduzierung der Schmerzempfindlichkeit bis hin zur Verlangsamung der Zellalterung.[4]
Wer Achtsamkeit vorschnell als esoterischen Mumpitz deklariert, sollte sich mit den einschlägigen wissenschaftlichen Studien auseinandersetzen. Die nachweisbaren positiven Effekte sind vielfältig:
- Entspannung
- Stressbewältigung
- Emotionsregulierung
- Aufmerksamkeitsregulierung
- Steigerung der Konzentrationsfähigkeit
- Steigerung der Gelassenheit
- Verbesserung der Selbstkontrolle
- Erhabenheit über die eigenen Emotionen
Weltkonzerne als Wegweiser
Google erkannte bereits früh das Potenzial, das in der Schulung der Achtsamkeit seiner Mitarbeiter schlummert und startete 2007 sein internes Meditationsprogramm „Search inside yourself“. Auch bei Apple spielt eine Unternehmenskultur der Achtsamkeit eine gewichtige Rolle. Als deutsche Unternehmen sind allen voran Siemens, Bosch, Continental, SAP, BASF und BMW zu nennen, die der Achtsamkeit im Unternehmenskontext eine zentrale Bedeutung beimessen.
Das Vorbild der Großkonzerne färbte als Erfolgsmodell erwartungsgemäß schnell auf den Mittelstand ab: KMU folgen dem Trend in zunehmender Zahl und bieten Ihren Mitarbeitern Seminare, Workshops und vor allem Raum für das Thema Achtsamkeit an. Achtsamkeitsübung und Meditation gehen Hand in Hand, was die Vermittlung der Methode auch an Mitarbeiter zur Führungsaufgabe werden lässt.[5] „Achtsame Betriebswirte“ und „Coaches für Mindful Business“ werden zu gefragten Dienstleistern im Segment der Unternehmensberatung.[6]
Achtsamkeit für Führungskräfte: Beginne bei dir selbst!
Andere führen zu können bedeutet zunächst, verlässlich Kontrolle über sein eigenes Verhalten und Denken auszuüben. Nur wer in der Lage ist, Selbstkontrolle und Selbstkritik zu üben, kann im Umgang mit anderen Menschen verlässliche und glaubwürdige Verhaltensmaßstäbe setzen. Diese These klingt banal, ist jedoch bereits eine Hürde, an der viele Führungskräfte scheitern. Nicht jede Person verfügt über die Persönlichkeit und das Einfühlungsvermögen, um andere Menschen zu erreichen, zu motivieren, zu inspirieren und gleichzeitig eine allgemein akzeptierte Autorität zu verkörpern.
Gerade hier setzt das Konzept der Achtsamkeit an: Selbstreflexion, Selbstregulation und Emotionskontrolle sind zentrale Ziele des Achtsamkeitskonzepts. Der erste Schritt ist es, sich der automatisch ablaufenden emotionalen Reaktionen bewusst zu werden: Ein typisches Beispiel ist das unmittelbare Herauskramen und der Blick auf das Smartphone, wenn dieses vibriert. Dieses Verhalten kann das aktuelle Geschehen, beispielsweise eine Gesprächssituation nachhaltig stören. Durch Achtsamkeitsübungen lernt man, die Entscheidungslücke zwischen Reiz (Vibrieren des Handys) und Reaktion (Blick auf das Display) zunächst bewusst wahrzunehmen und diese Entscheidungslücke dann für eine bewusste Entscheidung zu einer Handlung zu nutzen. Die Übung von Achtsamkeit sorgt also für das Innehalten, was die bewusste Auswahl einer auf die jeweilige Situation passenden Handlung überhaupt erst ermöglicht.
Auswirkung auf die Personalführung
Ein „Mindful Leader“ schätzt jede Situation bewusst und immer wieder neu ein, was es ihm ermöglicht, alternative und kreative Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Ein Mensch, der Achtsamkeit übt, lernt seine eigenen Beweggründe, Einstellungen und Motive kennen und setzt sich mit diesen aktiv und kritisch auseinander. Eingefahrene, doch eigentlich negative Handlungsmuster und Automatismen werden so aufgebrochen und kritisch hinterfragt.
Eine Führungskraft, die sich ihrer Handlungen stets bewusst ist und die gleichzeitig zwischenmenschlichen Beziehungen zu Mitarbeitern den notwendigen Raum einräumt, wird zwangsläufig höheren Führungserfolg vorweisen können. Denn wer seinem Gesprächspartner ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, wird zentrale kommunikative Fähigkeiten wie offenes Zuhören, wertungsfreie Aufgeschlossenheit und Empathiefähigkeit schärfen. Von anderen wird ein im Gespräch aufgeschlossen erlebter Mensch als präsent, fokussiert und authentisch erlebt. Der Mitarbeiter fühlt sich dementsprechend von seinem Vorgesetzten ernst genommen und wertgeschätzt.[7]
Die positiven Auswirkungen einer achtsamen Führung für Mitarbeiter sind bemerkenswert:
- Gesteigerte Effektivität bei der Ausführung alltäglicher Arbeitsaufgaben
- Eine größeres Zufriedenheitsempfinden bezüglich der wahrgenommenen „Work-Life-Balance“
- Gesteigerte Zufriedenheit bei der Erbringung der Arbeitsleistung
- Leistungsverbesserung im spezifischen Verantwortungsbereich
- Höhere emotionale Verbundenheit mit dem Unternehmen oder der Organisation
Achtsame Führung dient darüber hinaus sogar als eine Art positiven Vorbilds, das auf das Verhalten von Mitarbeitern „abfärbt“. So zeigen Untersuchungen, dass Arbeitskräfte, die ihren Vorgesetzten aufgrund achtsamer Führung schätzen, weniger Fehler aus Gedankenlosigkeit begehen und eher dazu neigen, anderen zu helfen und über den Tellerrand ihres eigenen Verantwortungsbereiches zu blicken.[8]
Der Weg zur Achtsamkeit
Nicht nur persönliche, sondern auch gedankliche Präsenz ist also für eine erfolgreiche Führung nötig. Doch Achtsamkeit ist nicht einfach mal so nebenbei zu üben. Es erfordert gezieltes Training, sich angesichts ständiger Hektik und Termindruck auf eine bewusste Wahrnehmung einzulassen. Ziel einer solchen Wahrnehmung sollte sein:
- Intensiver in eine Situation einzutauchen
- Folgen einer Handlung vorausschauender einzuordnen
- Sich auf sein Gegenüber und seine Bedürfnisse gezielt einzulassen
Pausieren, Reflektieren und Regenerieren haben, das gedankliche Einordnen von Ereignissen während sie geschehen sind dabei Übungen, die es in den Alltag zu integrieren gilt. Denn nur wer klar, erholt und „aufgeräumt im Kopf“ ist, ist bereit, neue Eindrücke und Reize zu empfangen.
Die Instrumente, die jeder im individuell anwenden kann, um diesen Zustand zu erreichen, sind verschieden. Es lohnt sich in jedem Fall, im hektischen Alltag einen festen Zeitraum abzustecken, in dem man sich der Meditation oder zumindest der Stille hingibt. Versuchen Sie doch einmal bewusst wahrzunehmen, wie Sie auf bestimmte Reize reagieren und versuchen Sie in einem zweiten Schritt, diese Reaktion bewusst zu unterlassen, um einen Moment innezuhalten. Durchbrechen Sie Ihr Reiz-Reaktionsmuster!
Verfasst von Kai Aeneas Sulkowski (Redaktion HeavenHR)
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Quellen
[1] Erläutert werden Kernergebnisse der Forsa-Studie „Führungsbarometer 2018“ hier: https://www.wallstreet-online.de/nachricht/10674802-forsa-studie-39-fuehrungsbarometer-39-deutsche-fuehrungskraefte-verwenden-stunde-woche-individuellen-foerderung-mitarbeiter-foto/2 (aufgerufen am 17.12.2019).
[2] https://www.workpath.com/magazine/agil-arbeiten/ (aufgerufen am 17.12.2019).
[3] https://blog.wiwo.de/management/2018/08/15/fuenf-irrtuemer-mit-denen-die-idee-von-agilitaet-in-planlosigkeit-oder-chaos-endet-gastbeitrag-von-internet-pionier-willms-buhse/ (aufgerufen am 17.12.2019).
[4] Eine gute Auswahl wissenschaftlicher Studien zum Thema finden Sie hier zitiert: https://www.leadership-insiders.de/achtsame-fuehrung-fakten-fuer-fuehrungskompetenz/ (aufgerufen am 17.12.2019).
[5] https://mindfulmind.ch/achtsamkeit-in-unternehmen/ (aufgerufen am 17.12.2019).
[6] https://mindfulbwl.de/ (aufgerufen am 17.12.2019).
[7] https://www.leadership-insiders.de/achtsame-fuehrung-fakten-fuer-fuehrungskompetenz/ (aufgerufen am 17.12.2016)
[8] https://ink.library.smu.edu.sg/cgi/viewcontent.cgi?article=4539&context=lkcsb_research (aufgerufen am 17.12.2019)