Deutsche Führungskräfte haben viel Luft nach oben – frappierender Weise ausgerechnet bei einem Thema: Führung. Nach einem Ergebnis der vielzitierten Gallup-Studie würde deutsche Unternehmen satte 105 Milliarden Euro mehr Gewinn machen, würden Sie ausschließlich über kompetente Führungskräfte verfügen.[1] Inkompetente Vorgesetzte führen zu demotivierten Mitarbeitern, die ihr Potenzial bewusst nicht voll ausschöpfen. 69 Prozent aller Mitarbeiter fühlen nur eine geringe Bindung zum Arbeitgeber und sitzen daher vorwiegend ihre Stunden am Arbeitsplatz ab.
Ursache für den eklatanten Kompetenzmangel in Führungsetagen ist so simpel wie alarmierend: Es fehlt an Zeit in jeglicher Dimension – Zeit, sich überhaupt der Mitarbeiterführung in gebührendem Maß widmen zu können, Zeit für die Identifikation und gezielte Förderung potenzieller Nachwuchsführungskräfte und Zeit für die Entwicklung von eigenen Führungskompetenzen und -qualitäten.
Schlecht vorbereitet und ohne Vorbilder
Tritt ein Mitarbeiter zum ersten Mal eine Führungsposition an, fühlt er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht qualifiziert dafür. Ausweislich der Führungs-Studie des Berufsverbrands „Die Führungskräfte (DFK)“ fühlen sich über die Hälfte der jungen Führungskräfte nicht oder nur schlecht vorbereitet auf die Führungsaufgabe.[2] Nur 38 Prozent erhielten zuvor eine auf sie persönlich zugeschnittene vorbereitende Förderung.
Überraschend außerdem: Nur 41 Prozent der Führungskräfte, die an der Führungs-Studie teilnahmen, sehen im Verhalten ihrer eigenen Vorgesetzten gute Führungskompetenz. Orientierung und Vorbildfunktion können sie demnach nicht bieten. Nur jede dritte Führungskraft setzt sich demnach überhaupt mit dem Thema „Führung“ auseinander.[3] Woran liegt das?
Keine Zeit für Führung
Nicht frei von Schuld sind Unternehmen, wenn ihren Führungskräften schlicht die Luft zum Führen fehlt. Viel zu häufig werden Abteilungsleitern und Vorgesetzten zu viele anderweitige Aufgaben aufgebürdet. Die Zeit, sich mit Mitarbeiterführung aktiv auseinanderzusetzen, einen Führungsstil zu entwickeln und sich mit den Belangen der Mitarbeiter eingehend zu befassen, ist schlichtweg nicht vorhanden.
Laut der DFK-Studie geben weit mehr als die Hälfte aller Führungskräfte an, weniger als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit auf die Mitarbeiterführung aufbringen zu können. Gerade einmal vier Prozent der Führungskräfte sind in der Lage, mindestens 80 Prozent ihrer Arbeitszeit ihrer eigentlichen Führungsaufgabe widmen zu können.[4]
Was muss eine Führungskraft leisten?
Eine Beförderung in eine Führungsposition bringt in der Regel einerseits natürlich Freude beim Beförderten mit sich, andererseits aber auch Zweifel: Traue ich mir die neue Rolle überhaupt zu? Verfüge ich über die Fähigkeiten, die es braucht, ein guter Leader zu sein? Möchte ich überhaupt die Arbeit in meinem Fachgebiet weitestgehend aufgeben, um andere Aufgaben wahrzunehmen? Gerade letztere Frage ist bedeutend: Für eine Position im mittleren Management ist grundlegendes Verständnis für die Prozesse und Tätigkeiten der Mitarbeiter zwar notwendig, doch erfordert die Erfüllung einer Führungsaufgabe ein ganz anderes Set an Fähigkeiten und Kompetenzen.
Eine Führungskraft ist niemals ein „Sachbearbeiter plus“. Wer als Unternehmen seine Führungskräfte in diese Rolle zwingt, fördert geradezu das Mikromanagement. Machen Sie sich bewusst, was Führung bedeutet und was die eigentliche Aufgabe einer Führungskraft ist:
- Das Ziel identifizieren,
- im Blick behalten,
- den Kurs entwerfen, der zur Erreichung des Ziels führt,
- die Besetzung finden, die die Erreichung dieses Ziels ermöglicht,
- dafür sorgen, dass jeder seine Aufgabe optimal erledigen kann und
- gewährleisten, dass sich alle Beteiligten mit ihrer Position und Aufgabe identifizieren können.
Mitarbeitergespräche zu führen, Zielvorgaben zu formulieren, Unternehmensziele transparent zu kommunizieren oder einen Etat zu erstellen zählen zu den Kern- und Alltagsaufgaben einer Führungskraft. Mit all diesen Aufgaben sind Angestellte vor ihrer Führungsrolle in aller Regel noch nie in Berührung gekommen. Zum großen Teil handelt es sich hierbei allerdings um „handwerkliches“ Know-how, das sich durch eine gute Vorbereitung aneignen lässt. Doch ist das alles, was es zur Führungskraft braucht?
Kann man Führung lernen?
An Ratgebern und Tipps mangelt es nicht. Wer die einschlägigen Suchmaschinen im Internet bemüht wird schnell auf Seiten stoßen, die mit „10 Praxis-Tipps für Führungskräfte“[5], „Personalführung: Wie Sie mit drei Grundsätzen zum A-Chef werden“[6] oder allgemeiner „Leadership: Kann man gute Führung lernen?“[7] werben. Der Grundtenor ist klar: Chef kann jeder! Zumindest, wer bereit ist, in Seminare, Whitepaper und Buchveröffentlichungen zu investieren. Doch kann wirklich jeder problemlos das Know-how erwerben, um als Führungskraft erfolgreich zu sein?
Zu einem gewissen Anteil kann derartiger Wissenserwerb natürlich hilfreich sein. Allerdings macht eine Führungskraft vor allem ein anderer zentraler Aspekt aus, den man sich nicht einfach aneignen kann: Die eigene Persönlichkeit. Bei der Besetzung von Führungspositionen spielen nach der Gallup-Studie meist einzig fachliche Gesichtspunkte eine Rolle, nicht jedoch ob der Kandidat überhaupt fähig ist, Personal zu führen. Dafür braucht es vor allem Soft-Skills: Fördern einer transparenten Feedback-Kultur, Motivation der Mitarbeiter oder Förderung und Entwicklung von Mitarbeitern.
Wie wir mit anderen Menschen interagieren, wie wir auf andere Menschen wirken und wie leicht uns Menschen Vertrauen entgegenbringen, ob sie sich von uns mitreißen oder begeistern lassen, ist aber zu großen Teilen von unseren Persönlichkeitszügen vorbestimmt. Menschen zu begeistern und zu inspirieren, kann man nur bedingt lernen.
Falle Mikromanagement
Wer zur Position eines Team- oder Abteilungsleiters aufsteigt steht vor der realen Gefahr, aus seiner vorherigen Rolle nicht ausbrechen zu können. Beförderte neigen stark dazu, weiterhin selbst ihre ehemaligen Aufgaben wahrnehmen oder zumindest kontrollieren zu wollen. Der Mikromanager mischt sich also in Aufgaben anderer ein und kontrolliert die Arbeitsleistung seiner ehemaligen Kollegen. Gerade jungen Führungskräften, häufig auch in der Startup-Szene, fällt es schwer, die richtige Balance zwischen Nähe zum Mitarbeiter und gebotener Distanz auszuloten.
Die Wirkung eines solchen Vorgesetzten auf die Mitarbeiter ist verheerend: Das Führungsverhalten wird als kontrollierend, einengend, misstrauend und kreativitätsfeindlich empfunden. Die Arbeitsatmosphäre ist schnell vergiftet, die Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität sinken, das Vertrauen gegenüber dem Unternehmen wird nachhaltig erschüttert, Fehlzeiten steigen und Mitarbeiter suchen das Weite, die Fluktuationsrate steigt. Der Studie „Die Zeit ist reif. Glücklich arbeiten“ nach, dachten 18 Prozent der teilnehmenden Arbeitnehmer darüber nach, ihrem Arbeitgeber den Rücken zu kehren – und zwar allein aufgrund ihrer direkten Vorgesetzten.[8]
Systemimmanent, endemisch, toxisch: Psychopathen und Narzissten in Führungsebenen
Wer wird in Konzernen oder KMUs in der Regel zur Führungskraft befördert? Viele Leser werden sagen: „Meist sind es doch die Schleimer, die sich der aktuellen Führungsperson gegenüber besonders unterwürfig und hörig verhalten oder die Alpha-Tiere, die mit ausgefahrenen Ellbogen zunächst an das eigene Fortkommen und gar nicht an den Team- und Unternehmenserfolg denken.“
Dieser Eindruck ist nicht nur einfach ein subjektives Gefühl: Überdurchschnittlich oft finden sich psychologischen Untersuchungen zufolge in den Führungsetagen von Unternehmen tatsächlich Menschen mit einer narzisstischen oder psychopathischen Persönlichkeitsstörung.[9] Als Führungskräfte taugen beide Typen freilich nicht. Im Gegenteil, sie sind der Inbegriff des Toxic Leadership und vergiften die Unternehmenskultur von innen heraus mit nachhaltiger Außenwirkung.
- Narzissten sind extrem ich-bezogen, nicht empathisch und überzogen selbstbewusst. Sie sind nicht kritikfähig und wollen von anderen bewundert werden. Dadurch sind sie leistungsorientiert. Kollegen oder Mitarbeiter sind aber nur Instrumente, die sie benutzen, um selbst die Lorbeeren einzuheimsen.
- Psychopathen hingegen sind manipulativ und spielen täuschend echt Gefühle vor. Sie sind daher die perfekten Netzwerker und werden sich leicht bei den Entscheidungsträgern im Unternehmen für eine Beförderung ins Spiel bringen. Sie nutzen das Vertrauen anderer zu ihrem eigenen Vorteil aus, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Das Problem ist systemimmanent: Denn in aller Regel bestimmen allein diejenigen über die Beförderung eines Mitarbeiters, die ihm hierarchisch übergeordnet sind. Einer weltweit durchgeführten Studie von Willis Towers Watson nach, entscheiden in Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich oft Fachexpertise, nicht aber Führungsqualitäten die entscheidende Rolle bei der Besetzung von Leitungspositionen.[10] Eine Beförderung basierend auf einem umfassendem 360°-Feedback und fundierter Persönlichkeits- und Fähigkeitseinschätzung eines Kandidaten durch Kollegen, Mitarbeiter, direkte Vorgesetzte und andere Kontaktpersonen ist noch immer die absolute Seltenheit.
Führungsschwache Start-Ups
Eine weiterer schwacher Führungstyp begegnet uns vermehrt in der Start-Up-Kultur. Junge, unerfahrene Einzelgänger, die vielleicht vorher schon im Umfeld eines größeren Unternehmens gescheitert sind, sich nicht eingliedern konnten oder wollten, die ihr eigenes „Ding“ machen wollten, wurden zu Gründern. Fachlich oft brillante, IT-affine Nerds, deren Stärke allerdings nicht gerade die persönliche Kommunikation und soziale Interaktion ist, trifft man ebenfalls in den Start-Up-Szenen urbaner Ballungsräume überdurchschnittlich häufig an.
Diese Gründer werden aber meist automatisch, sobald die Idee fruchtet und das Unternehmen zu wachsen beginnt, zu Vorgesetzten. Viele sehen sich mit der Aufgabe, Mitarbeiter führen zu müssen heillos überfordert und treten entweder zu kumpelhaft oder zu autoritär auf – Zuckerbrot und Peitsche oder Laissez-faire. Viele neigen zum Mikromanagement, wenn sie an den vertrauten, fachlichen Aufgaben festhalten, die sie zu bewältigen wissen, statt ihre Führungsrolle anzunehmen und auszufüllen.[11]
Führungsschwäche beheben? – Führung neu denken!
Ein Patentrezept gibt es freilich nicht, einen bereits installierten Chef zur perfekten Führungsfigur mutieren zu lassen oder sich vor der Neueinstellung eines geschickt getarnten Psychopathen zu schützen. Doch lassen sich Denk- und Vorgehensweisen bei der Besetzung von Führungspositionen und die Gestaltung von Führungsaufgaben sehr wohl ändern:
- Holen Sie umfassendes 360°-Feedback aller Beteiligten und Betroffenen ein: Ernennen Sie niemanden zum Vorgesetzten, der von mehreren Mitarbeitern, die ihm direkt unterstellt sind, abgelehnt wird. Während ein Psychopath oder ein Narzisst für Entscheidungsträger als perfekte Wahl erscheint, haben seine Kollegen sicher schon seine wahre Seite kennengelernt. Niemand will jemanden im wahrsten Sinne des Wortes schlicht vorgesetzt bekommen, sondern mitentscheiden, wem er sein Vertrauen schenken und von wem er sich gerne leiten lassen möchte.
- Stallgeruch ist vorzuziehen: Ein langjähriger Mitarbeiter ist bei der Besetzung einer Führungsposition als interne Lösung nahezu immer einer extern angeworbenen Person vorzuziehen. Ein intern beförderter Mitarbeiter ist nämlich in aller Regel nicht nur bestens mit anderen Mitarbeitern, Prozessen, Zielen und Kultur des Unternehmens vertraut, sondern er ist auch umgekehrt bereits bei den Mitarbeitern beliebt und dient als motivierendes Vorbild, betriebsintern Karriere machen zu können. Zudem haben Sie bei einer internen Besetzung die Möglichkeit, den Mitarbeiter rechtzeitig gezielt auf die Aufgabe vorzubereiten.
- Planen Sie die Besetzung von Führungspositionen vorausschauend. Zielvereinbarungen und Evaluierungen von Mitarbeitern lassen erkennen, wer Schlüsselqualifikationen mitbringt, um überhaupt eine Führungsaufgabe übernehmen zu können. Diese Mitarbeiter können von langer Hand durch gezielte Förderung auf eine spätere Führungsaufgabe vorbereitet werden.
- Eine Führungsperson ist kein „Sachbearbeiter plus“. Sie benötigt Zeit, sich allein auf ihre Führungsaufgabe zu fokussieren und für ein besseres Betriebsklima zu sorgen. Dies bedeutet vor allem, den Mitarbeitern den Sinn ihres Tuns zu verdeutlichen, Entscheidungen transparent zu kommunizieren, Motivation zu stiften und ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln. Konstanter Dialog ist der Schlüssel. Und dieser braucht Zeit.
- Verantwortung delegieren: Wer ungewollt oder unverhofft in eine Führungsrolle gerät und sich dieser nicht gewachsen sieht, sollte niemals davor scheuen, Verantwortung an geeignetere Mitarbeiter zu delegieren. Wer seine Talente und Passion ohnehin eher in der fachlichen Dimension verortet, sollte mit sich selbst ehrlich ins Gericht gehen, bevor er überhaupt ein Angebot auf eine Führungsposition annimmt.
– verfasst von Kai Aeneas Sulkowski (Redaktion HeavenHR)
[1] Die Rede ist hier vom Gallup Engagement Index, der seit 2001 jährlich anhand von 12 Fragen erstellt wird: https://www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx (aufgerufen am 25.11.2019)
[2] https://tf-unternehmensberatung.de/fuehrungsalltag-rumprobieren-am-lebenden-objekt (aufgerufen am 25.11.2019)
[3] https://www.karriere.de/schlechter-fuehrungsstil-auf-sie-mit-gebruell/23040040.html (aufgerufen am 25.11.2019)
https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/gallup-studie-fuehrungskraefte-sind-der-wahre-produktivitaetskiller/19552634.html (aufgerufen am 25.11.2019)
[4] https://www.die-fuehrungskraefte.de/aktuell/perspektiven-fachzeitschrift/inhaltsverzeichnis-07-082016/fuehren-heisst-dienen-abschied-von-den-superhelden/ (aufgerufen am 25.11.2019)
[5] https://www.haufe-akademie.de/blog/themen/fuehrung-und-leadership/10-praxis-tipps-fuer-fuehrungskraefte/ (aufgerufen am 25.11.2019)
[6] https://www.abc-personal-strategie.de/personalfuehrung/ (aufgerufen am 25.11.2019)
[7] https://zweikern.com/blog/leadership-fuehrung-lernen (aufgerufen am 25.11.2019)
[8] Die Studie wurde vom Personaldienstleister Robert Half und dem Beratungsunternehmen Happiness works im Jahr 2016 durchgeführt. Befragt wurden weltweit 23.000 Arbeitnehmer, davon 2.167 in Deutschland. https://www.roberthalf.de/sites/roberthalf.de/files/pdf/noindex/robert-half-deutschland-gluecklich-arbeiten.pdf (aufgerufen am 25.11.2019)
[9] https://www.zeit.de/karriere/beruf/2014-05/psychopathen-interview-psychologe-jens-hoffmann (aufgerufen am 25.11.2019)
[10] https://www.wiwo.de/erfolg/management/management-deutsche-fuehrungskraefte-schneiden-schlecht-ab/14687804.html (aufgerufen am 25.11.2019)
[11] https://www.uni-hohenheim.de/fileadmin/einrichtungen/entrepreneurship/StartingUp_03_14_Fuehren_in_Start-ups.pdf (aufgerufen am 26.11.2019)